Ein Turnkey-Vertrag (Schlüsselfertig-Vertrag) regelt die umfassende Verantwortung des Auftragnehmers (AN) für die Planung, Beschaffung, Errichtung, Inbetriebnahme und Übergabe einer vollständig betriebsbereiten Anlage an den Auftraggeber (AG). Dieser Vertragstyp minimiert die Risiken des AG, da der AN die Verantwortung für die gesamte Projektdurchführung trägt. .
1. Struktur und Zielsetzung des Turnkey-Vertrags
1.1 Zielsetzung
- Übergabe einer betriebsbereiten Anlage („schlüsselfertig“).
- Minimierung der Schnittstellenrisiken für den AG, da der AN die Gesamtverantwortung trägt.
- Sicherstellung der Einhaltung von Zeitplänen, Qualitätsstandards und Kosten.
1.2 Besonderheiten
- Der AN trägt die volle Verantwortung für Verzögerungen, Mängel und Abweichungen von den vertraglich festgelegten Anforderungen.
- Häufig in großen Infrastruktur- und Energieprojekten eingesetzt (z. B. Windparks, Solarkraftwerke, Speicheranlagen).
2. Detaillierter Vertragsinhalt
2.1 Präambel
- Klare Definition des Projekts und der Rollen der Parteien.
- Beispiel:
- „Zweck dieses Vertrags ist die Errichtung eines betriebsbereiten Solarparks mit einer Leistung von 50 MW am Standort Musterstadt. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, alle notwendigen Leistungen zur schlüsselfertigen Übergabe der Anlage zu erbringen.“
2.2 Vertragsgegenstand
- Leistungsumfang:
- Planung und Genehmigung:
- Erstellung von Entwürfen, Genehmigungsunterlagen und Ausführungsplänen.
- Beschaffung:
- Einkauf aller benötigten Materialien und Komponenten (z. B. PV-Module, Wechselrichter, Transformatoren).
- Bau und Errichtung:
- Vorbereitung des Standorts, Installation der Komponenten, Netzanschluss.
- Inbetriebnahme:
- Funktionstests, Netzprüfung und Übergabe an den AG.
- Planung und Genehmigung:
- Schnittstellenmanagement:
- Klare Abgrenzung zwischen Verantwortlichkeiten des AN (schlüsselfertige Lieferung) und des AG (Bereitstellung des Grundstücks und der Genehmigungen).
2.3 Zeitplan und Meilensteine
- Projektphasen und Meilensteine:
- Planung: Abschluss der Entwurfsplanung bis 31.03.2025.
- Beschaffung: Abschluss der Materialbeschaffung bis 30.06.2025.
- Bau und Installation: Fertigstellung der Installation bis 30.09.2025.
- Inbetriebnahme und Abnahme: Übergabe der betriebsbereiten Anlage bis 31.10.2025.
- Alternative Klauseln:
- Vertragsstrafe bei Verzögerungen:
- Für jeden Tag der Verzögerung zahlt der AN 0,2 % des Vertragswerts als Strafe.
- Flexibilität bei Fristen:
- Der AN kann Fristen um maximal 30 Tage verschieben, wenn er schriftlich nachweist, dass die Verzögerung nicht in seinem Einflussbereich liegt (z. B. Force Majeure).
- Vertragsstrafe bei Verzögerungen:
2.4 Vergütung und Zahlungsbedingungen
- Vergütung:
- Pauschalpreis:
- Beispiel: Der Gesamtpreis beträgt 10 Mio. €.
- Der Preis deckt alle Kosten des Projekts, einschließlich Arbeitsleistung, Materialbeschaffung und Nebenkosten.
- Pauschalpreis:
- Zahlungsmodalitäten:
- Beispiel eines Zahlungsplans:
- 30 % bei Vertragsunterzeichnung.
- 40 % nach Abschluss der Errichtung.
- 30 % nach Abnahme der betriebsbereiten Anlage.
- Beispiel eines Zahlungsplans:
- Alternative Klauseln:
- Abschlagszahlungen:
- Zahlungen erfolgen monatlich basierend auf dem Baufortschritt.
- Leistungsprämie:
- Erfolgsabhängige Prämie bei Überschreitung der garantierten Leistung (z. B. zusätzliche 1 % der Vergütung bei einer Erhöhung der Nennleistung um 5 %).
- Abschlagszahlungen:
2.5 Technische Anforderungen
- Standards und Spezifikationen:
- Der AN verpflichtet sich zur Einhaltung technischer Normen (z. B. DIN, IEC, VDE).
- Die Anlage muss die Anforderungen der Technischen Anschlussbedingungen (TAB) des Netzbetreibers erfüllen.
- Leistungsgarantien:
- Beispiel: Die Anlage muss mindestens 95 % der Nennleistung erreichen.
- Maximale Ausfallzeit: 2 % pro Jahr.
- Alternative Klauseln:
- Flexibilität bei Spezifikationen:
- Der AG kann während der Bauphase Änderungen an den Spezifikationen vornehmen, sofern diese keine Mehrkosten oder Verzögerungen verursachen.
- Flexibilität bei Spezifikationen:
2.6 Abnahme und Inbetriebnahme
- Abnahmeprozess:
- Technische Abnahme nach Durchführung aller Funktionstests.
- Die Abnahme gilt als erfolgt, wenn:
- Alle vertraglich vereinbarten Leistungen erbracht wurden.
- Die garantierten technischen Parameter nachgewiesen sind.
- Alternative Klauseln:
- Teilabnahmen:
- Der AG kann nach Abschluss einzelner Projektphasen Teilabnahmen durchführen.
- Verlängerte Prüfphase:
- Der AG hat 60 Tage Zeit, die Anlage vor der Abnahme zu testen.
- Teilabnahmen:
2.7 Gewährleistung und Haftung
- Gewährleistung:
- Der AN garantiert die Mängelfreiheit der Anlage für einen Zeitraum von 24 Monaten.
- Erweiterte Garantie für spezifische Komponenten (z. B. 10 Jahre für PV-Module).
- Haftungsbeschränkungen:
- Direkte Schäden: Haftung bis zu 20 % des Vertragswerts.
- Ausschluss von indirekten Schäden und entgangenen Gewinnen, außer bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
- Alternative Klauseln:
- Verlängerte Gewährleistung:
- Gewährleistung von 5 Jahren für die gesamte Anlage.
- Unbegrenzte Haftung:
- Uneingeschränkte Haftung des AN für Verstöße gegen technische Standards.
- Verlängerte Gewährleistung:
2.8 Force-Majeure-Klausel
- Definition höherer Gewalt:
- Naturkatastrophen, Krieg, Pandemien oder andere unvorhersehbare Ereignisse führen zur Aussetzung der Vertragsfristen.
- Mitteilungspflichten:
- Die betroffene Partei muss die andere Partei unverzüglich informieren und Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ergreifen.
2.9 Streitbeilegung
- Mediation und Schiedsverfahren:
- Streitigkeiten werden zunächst durch Mediation gelöst.
- Scheitert die Mediation, erfolgt ein Schiedsverfahren nach den Regeln der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS).
- Alternative Klauseln:
- Internationale Schiedsgerichtsbarkeit:
- Das Schiedsverfahren wird nach den ICC-Regeln in Zürich durchgeführt.
- Gerichtsverfahren:
- Streitigkeiten werden durch die ordentlichen Gerichte entschieden.
- Internationale Schiedsgerichtsbarkeit:
3. Vertragsalternativen
3.1 Turnkey-Wartungsvertrag
- Der Vertrag umfasst neben der Errichtung auch Wartungs- und Betriebsverantwortung für einen definierten Zeitraum (z. B. 5 Jahre).
- Vorteil: Der AG profitiert von einem sicheren Betrieb der Anlage durch den AN.
3.2 Split-Turnkey-Vertrag
- Aufteilung des Projekts in separate Verträge für Planung, Beschaffung und Errichtung.
- Vorteil: Flexibilität bei der Auswahl der Subunternehmer.
- Nachteil: Höherer Koordinationsaufwand und größere Risiken für den AG.
3.3 Hybrid-Turnkey-Vertrag
- Der AN übernimmt die Verantwortung für Planung und Beschaffung, während der AG den Bau eigenständig durchführt.
- Vorteil: Reduzierte Gesamtkosten für den AG.
- Nachteil: Höhere Risiken durch fehlende Verantwortlichkeit des AN für die Bauphase.
4. Insgesamt
Turnkey-Verträge sind ein effizientes Mittel zur Umsetzung großer Infrastruktur- und Energieprojekte. Sie erfordern jedoch eine sorgfältige Vertragsgestaltung, um technische, rechtliche und wirtschaftliche Anforderungen zu erfüllen. Energierechtler spielen eine zentrale Rolle bei der Strukturierung solcher Verträge, der Definition klarer Verantwortlichkeiten und der Absicherung gegen Risiken wie Verzögerungen, Mängel oder Vertragsverletzungen. Durch den Einsatz alternativer Klauseln und Vertragsvarianten können Turnkey-Verträge flexibel an spezifische Projekte angepasst werden.