Das Vergaberecht regelt die Beschaffung öffentlicher Auftraggeber und von Unternehmen, die aufgrund besonderer Rechte oder Monopole tätig sind. Im Energiesektor ergeben sich dabei spezifische Herausforderungen, insbesondere durch die hohe Relevanz der Daseinsvorsorge, Umweltvorgaben und die Monopolstellung vieler Energieversorger.
1. Rechtsgrundlagen des Vergaberechts im Energiesektor
Das Vergaberecht im Energiesektor basiert auf einem mehrstufigen Regelungsrahmen aus EU- und nationalen Vorschriften:
- EU-Recht: Richtlinie 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) für Unternehmen in besonderen Sektoren wie Energie, Wasser und Verkehr.
- Nationales Recht (Deutschland):
- Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere Teil 4 (§§ 97 ff. GWB).
- Vergabeverordnung (VgV) für klassische öffentliche Auftraggeber.
- Sektorenverordnung (SektVO) für Auftraggeber im Energie- und Verkehrssektor.
- Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) für Konzessionsvergaben, insbesondere zur Strom- und Gasversorgung.
- UVgO (Unterschwellenvergabeordnung) für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte.
2. Auftraggeber im Energiesektor
Nicht nur klassische Behörden sind an das Vergaberecht gebunden. Gemäß § 100 GWB zählen dazu auch:
- Öffentliche Energieversorger (z. B. Stadtwerke),
- Netzbetreiber (z. B. Strom- und Gasnetzbetreiber),
- Energieproduzenten, sofern sie im Auftrag öffentlicher Stellen handeln.
Private Unternehmen müssen Vergaberecht beachten, wenn sie von staatlichen Mitteln erheblich profitieren oder Monopolstellungen innehaben.
3. Vergabearten und Verfahren
Der Energiesektor nutzt unterschiedliche Vergabeverfahren, die sich an den Schwellenwerten und der Marktstruktur orientieren:
- Offenes Verfahren: Jeder Anbieter kann ein Angebot abgeben.
- Nichtoffenes Verfahren: Nur präqualifizierte Unternehmen werden zur Angebotsabgabe aufgefordert.
- Verhandlungsverfahren: Nach vorheriger Auswahl verhandelt der Auftraggeber mit den Bietern.
- Wettbewerblicher Dialog: Besonders für innovative oder komplexe Projekte (z. B. Offshore-Windparks).
- Konzessionsvergaben: Ein Unternehmen erhält das Recht zur Energieversorgung gegen Gebühren oder Investitionsverpflichtungen.
Beispiel: Vergabe einer Stromkonzession
Ein typischer Fall im Energiesektor ist die Vergabe einer Stromkonzession durch eine Kommune. Die Vergabe erfolgt nach der KonzVgV und muss transparent sowie diskriminierungsfrei sein. Stadtwerke oder private Netzbetreiber können sich um die Konzession bewerben.
4. Herausforderungen und Rechtsprechung
a) Diskriminierungsfreie Ausschreibung und Unabhängigkeit der Vergabestelle
Die Rechtsprechung betont die Neutralität der Vergabestelle. In BGH, Urteil vom 17.12.2013 – EnZR 10/13 („Stadtwerke-Ausschreibung“) wurde entschieden, dass kommunale Unternehmen nicht bevorzugt werden dürfen.
b) Direktvergaben an Stadtwerke
Ein prominenter Fall ist EuGH, Urteil vom 19.12.2012 – C-159/11 („Spezzino-Entscheidung“), wonach Direktvergaben nur unter engen Bedingungen zulässig sind. Bei Energievergaben dürfen Kommunen nicht ohne Ausschreibung ihre Stadtwerke beauftragen.
c) Konzessionsvergaben und Marktzugang
Der BGH hat in Urteil vom 14.12.2021 – EnZR 81/20 („Stromnetz Berlin“) betont, dass bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen Transparenz oberstes Gebot ist. Ein Wechsel des Netzbetreibers darf nicht durch unverhältnismäßige Bedingungen behindert werden.
5. Energie-Vergaben
Das Vergaberecht im Energiesektor ist durch hohe Transparenzanforderungen und wettbewerbsrechtliche Hürden gekennzeichnet. Besonders relevant ist die Trennung zwischen öffentlichen und privaten Interessen sowie die Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer. Die Rechtsprechung stellt sicher, dass Monopolstellungen nicht missbraucht werden und neue Marktteilnehmer eine Chance erhalten.