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Rahmenbedingungen der Sektorenkopplung

Die Sektorenkopplung bezeichnet die Integration und Verknüpfung verschiedener Energiesektoren wie Strom, Wärme, Verkehr und Industrie, um die Energiewende effizienter zu gestalten. Sie zielt darauf ab, erneuerbare Energien in allen Bereichen zu nutzen und sektorenübergreifende Synergien zu schaffen. Dabei entstehen rechtliche Herausforderungen, da bestehende Regulierungen meist sektorspezifisch sind und nicht ausreichend auf sektorübergreifende Ansätze ausgerichtet sind.


I. Bedeutung der Sektorenkopplung

1. Zielsetzung

  • Dekarbonisierung: Verringerung von Treibhausgasemissionen in Sektoren, die bisher schwer zu dekarbonisieren sind (z. B. Verkehr, Wärme, Industrie).
  • Flexibilisierung: Nutzung von Überschussstrom aus erneuerbaren Energien (z. B. Wind- oder Solarstrom) in anderen Sektoren.
  • Energieeffizienz: Bessere Nutzung von Energie durch Verknüpfung von Strom, Wärme und Mobilität.

2. Technologien der Sektorenkopplung

  • Power-to-X (PtX): Umwandlung von Strom in andere Energieträger wie Wasserstoff, Methan, Wärme oder synthetische Kraftstoffe.
  • Elektrifizierung: Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen, z. B. für Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge.
  • Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme.
  • Wärme- und Stromnetze: Integration und Kopplung von Energieinfrastrukturen.

II. Rechtliche Grundlagen der Sektorenkopplung

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sektorenkopplung sind fragmentiert und in verschiedenen Gesetzen geregelt. Dabei gibt es nationale, europäische und internationale Vorgaben.


1. Europäisches Recht

a) Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II, 2018/2001/EU)

  • Ziel: Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien in allen Sektoren.
  • Bedeutung für Sektorenkopplung:
    • Fördert die Nutzung von erneuerbarem Strom für Wasserstoffproduktion (grüner Wasserstoff).
    • Verbindliche Treibhausgaseinsparungen bei synthetischen Kraftstoffen und Biokraftstoffen.

b) Energieweffizienzrichtlinie (2012/27/EU)

  • Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Energieeffizienz in allen Sektoren zu ergreifen.
  • Förderung von KWK und Abwärmenutzung.

c) Strombinnenmarktpaket

  • Fördert den Zugang von erneuerbaren Energien zum Strommarkt.
  • Ermöglicht die Nutzung von Überschussstrom in anderen Sektoren.

d) EU-Wasserstoffstrategie

  • Förderung von grünem Wasserstoff als Schlüsseltechnologie der Sektorenkopplung.
  • Rechtsrahmen für den grenzüberschreitenden Handel mit Wasserstoff wird entwickelt.

2. Nationales Recht in Deutschland

a) Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)

  • Zentrale Regelung für Strom- und Gasinfrastrukturen.
  • Problem: Das Gesetz ist auf separate Sektoren ausgelegt und erschwert sektorübergreifende Ansätze.
  • Relevanz:
    • Regelt den Netzanschluss für Power-to-X-Anlagen.
    • Vorgaben für die Einspeisung von grünem Wasserstoff oder synthetischem Methan ins Gasnetz.

b) Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)

  • Fördert Strom aus erneuerbaren Energien.
  • Problem für Sektorenkopplung:
    • EEG-Umlagepflicht auf Eigenverbrauch und Zwischenspeicherung (z. B. bei Power-to-Gas-Anlagen).
  • Anpassung:
    • Ab 2023 wurde die EEG-Umlage abgeschafft, was Sektorenkopplung erleichtert.

c) Gebäudeenergiegesetz (GEG)

  • Fördert den Einsatz erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung.
  • Erlaubt die Nutzung von Power-to-Heat (PtH) in Gebäuden.

d) Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG)

  • Regelt Genehmigungen für Power-to-X-Anlagen.
  • Vorgaben für Emissionen bei der Nutzung synthetischer Brennstoffe.

e) Wasserstoffstrategie Deutschlands

  • Förderung von grünem Wasserstoff durch staatliche Subventionen.
  • Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur (Produktion, Transport, Speicherung).

3. Steuer- und Abgabenrecht

a) Stromsteuer

  • Der Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien wird mit der Stromsteuer belastet (z. B. in Power-to-X-Prozessen).
  • Potenzielle Erleichterung durch Steuerbefreiungen für grünen Wasserstoff.

b) Energiesteuer

  • Regelt die Besteuerung von fossilen Brennstoffen und teilweise von synthetischen Kraftstoffen.
  • Problem: Keine einheitlichen Regelungen für Wasserstoff und andere PtX-Produkte.

c) Netzentgelte

  • Sektorenkopplungstechnologien wie Power-to-Gas zahlen hohe Netzentgelte, selbst wenn sie Überschussstrom nutzen.
  • Reformbedarf: Einführung von flexibleren Tarifen für solche Technologien.

III. Herausforderungen und rechtliche Hürden

1. Fragmentierte Regulierung

  • Die Regelungen für Strom, Gas, Wärme und Verkehr sind voneinander getrennt.
  • Es fehlen sektorübergreifende Gesetze und Anreizsysteme.

2. EEG-Umlage und Netzentgelte

  • Die EEG-Umlagepflicht für Power-to-X-Anlagen wurde 2023 abgeschafft, dennoch bestehen hohe Netzentgelte.
  • Zusätzliche Kostenbelastungen erschweren die Wirtschaftlichkeit von Sektorenkopplung.

3. Genehmigungsrecht

  • Power-to-X-Anlagen unterliegen komplexen Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG.
  • Mangel an einheitlichen Standards für Wasserstoffanlagen.

4. Steuerliche Benachteiligung

  • Strom für die Sektorenkopplung wird häufig steuerlich benachteiligt gegenüber fossilen Brennstoffen.

5. Infrastruktur

  • Fehlende Wasserstoff- und Wärmenetze sowie begrenzte Speichertechnologien bremsen die Integration von Sektorenkopplung.

IV. Beispiele aus der Praxis

1. Power-to-Gas-Anlage

  • Eine PtG-Anlage in Norddeutschland nutzt überschüssigen Windstrom, um Wasserstoff zu produzieren. Der Wasserstoff wird ins Gasnetz eingespeist und für Industrieprozesse genutzt.
  • Problem: Hohe Netzentgelte und aufwändige Genehmigungsverfahren.

2. Power-to-Heat in Fernwärmenetzen

  • Ein Stadtwerk nutzt Überschussstrom aus Solarenergie zur Erzeugung von Wärme für das Fernwärmenetz.
  • Vorteil: Die Wärme wird direkt genutzt, ohne Umwandlungsverluste.
  • Problem: Hohe Steuerbelastung des eingesetzten Stroms.

3. Synthetische Kraftstoffe

  • Eine Anlage produziert aus CO₂ und Wasserstoff synthetisches Kerosin für den Luftverkehr.
  • Förderung: Durch RED II wird das synthetische Kerosin als klimaneutral anerkannt.
  • Problem: Hohe Produktionskosten und begrenzte Infrastruktur.

V. Rechtsprechung zur Sektorenkopplung

1. Netzentgelte für Power-to-Gas

  • BGH, Urt. v. 11. Dezember 2019 – EnVR 65/18
    Eine PtG-Anlage klagte gegen die Zahlung von Netzentgelten, obwohl sie Überschussstrom aus erneuerbaren Energien nutzte. Der BGH entschied, dass die derzeitigen Netzentgeltregelungen gesetzeskonform sind, verwies aber auf den Reformbedarf.

2. EEG-Umlage auf Eigenverbrauch

  • EuGH, Rs. C-405/16 („Achema“) Der EuGH urteilte, dass die EEG-Umlage auf Eigenverbrauch unter bestimmten Umständen mit EU-Beihilferecht vereinbar ist, was die Kosten für Sektorenkopplung erhöhte.

VI. Perspektiven und Reformbedarf

  1. Harmonisierung der Regulierung
    • Einführung eines sektorübergreifenden Rechtsrahmens zur Förderung der Sektorenkopplung.
    • Anpassung des EnWG, um Sektorenkopplung als eigenständige Technologie zu fördern.
  2. Kostenreduktion
    • Abschaffung von Steuern und Abgaben auf Strom für Sektorenkopplung.
    • Einführung flexibler Netzentgelte für PtX-Technologien.
  3. Infrastrukturausbau
    • Aufbau eines Wasserstoffnetzes.
    • Förderung von Wärmespeichern und Wärmenetzen.
  4. Förderung grüner Wasserstoff
    • Rechtsverbindliche Festlegung der Kriterien für grünen Wasserstoff im Rahmen der EU-Taxonomie.
  5. Pilotprojekte und Innovation
    • Staatliche Unterstützung für Modellprojekte zur Erprobung von Sektorenkopplung.

VII. Sektorenkopplungsrecht

Die Sektorenkopplung ist essenziell für eine erfolgreiche Energiewende. Sie verbindet verschiedene Energiesektoren, erhöht die Flexibilität und ermöglicht die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien. Die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen sind jedoch oft fragmentiert und erschweren die Umsetzung. Eine gezielte Reform, insbesondere durch Harmonisierung der Gesetze und Abbau von steuerlichen und regulatorischen Hemmnissen, ist notwendig, um die Potenziale der Sektorenkopplung voll auszuschöpfen.